Chavez wagt den Überflug

Freitag, 23. September, der zweitletzte Tag der Flugwoche war angebrochen. Für Cattaneo, Wiencziers und Paillette war die Flugwoche bereits Geschichte. Sie räumten die Hangars.

Mit diesem Auszug schwanden die letzten Hoffnungen, Brig und der Simplon würden noch im Rahmen der Flugwoche die Erstüberfliegung des Simplons erleben. Nur die letzten verbliebenen Konkurrenten, Chavez und Weymann, warteten ab. Unter nicht sonderlich guten Bedingungen von Wind und Wetter hofften sie im Geheimen, den «Gran Premio della Traversata delle Alpi» im Duell auszufechten.

Chavez, angespornt durch Weymanns schöne und applaudierte Flüge am Vortag, sah sich herausgefordert. Er war entschlossen, den Simplonflug am Freitag zu wagen. In dieser Absicht fuhr Chavez mit seinen Freunden nochmals auf die Passhöhe. Die Witterungsverhältnisse bestärkten seinen Entschluss.

Auf dem Rückweg zum Startplatz begegnete Chavez seinem früheren Fluglehrer Paulhan. «Warten Sie ab, morgen sind die Verhältnisse noch besser», soll er ihm geraten haben. Doch Chavez hatte sich festgelegt.

«Ich habe lange genug auf besseres Wetter gehofft, ich starte!»
Geo Chavez
Ried-Brig: Chavez’  Start zum Alpenflug über den Simplon am  23. September 1910.
Ried-Brig: Chavez’ Start zum Alpenflug über den Simplon am 23. September 1910.

Auf dem Flugfeld in Ried-Brig angekommen, liess Chavez seine Blériot aus dem Schuppen ziehen. Um 13.29 Uhr hob er ab. In drei grossen Spiralen gewann er die nötige Höhe und entschwand dem Simplon zusteuernd aus den Augen der Zuschauer.

Der Start in Ried-Brig ist geglückt.
Der Start in Ried-Brig ist geglückt.

Nur Sekunden später wurde dem «Bellevue» auf Simplon-Kulm der Abflug Chavez' telefonisch gemeldet. Das grosse Fernrohr gegenüber dem Hotel war scharf auf den Kamm des Rosswaldrückens gerichtet. «Da ist er», ertönte auf einmal ein Ruf. Zwanzig Minuten nach dem Start überflog der Peruaner in einer Höhe von 100 Metern die Passlandschaft. Die meteorologischen Verhältnisse waren im Zeitpunkt der Überfliegung des Simplons günstig. Ein schwacher Nordwind blies über den Pass bei einer Temperatur von 6 Grad im Schatten. Aber jetzt, da der Peruaner den Simplon bezwungen und die Passlandschaft überflogen hat, weiss Chavez, dass er die letzte Möglichkeit einer Landung hinter sich gelassen hat. «Mit ungeheurer Geschwindigkeit bewegte sich Chavez vorwärts, derart schnell, dass selbst die ihn begleitenden Rennwagen nicht mehr zu folgen vermögen», so beeindruckt berichtete NZZ-Redaktor Bierbaum in seiner Zeitung.

Den Beobachtern entging nicht, dass Chavez nach der Überquerung der Passhöhe mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.

«Man sah, wie Windstösse auf den rechten Flügel der Blériot einwirkten. Das Flugzeug begann zu schwanken, richtete sich aber wieder auf.»
Beobachter auf der Simplon Passhöhe


Wieder im ruhigen Flug, sichtete Simplon Dorf den Aeroplan. Hoch über Gabi steuerte Chavez seine Blériot dem Monscera zu. Um aber, wie er es sich vorgenommen hatte, die Monscerapasshöhe auf 2103 Höhenmetern zu überfliegen, lag er zu tief. Folglich musste er sich mit seiner Blériot noch höher schrauben. Und genau dies verwehrten ihm die von den Gletschern herabwehenden Winde. Dem Ungenügen bewusst, nahm Chavez die Hochalpe Furggu mit dem verhältnismässig tief auf 1872 Metern gelegenen Übergang ins Zwischbergental ins Visier. Der Vorteil, über den Monscera den Landeplatz in Domodossola in einer idealeren Linie über Bognanco anzufliegen, war für Chavez verzichtbar.

Flugroute
Flugroute

Chavez überflog also die Furggu, erreichte das Zwischbergental, wo er sich starken Winden ausgesetzt sah. Den mit Tücken und Gefahren behafteten Engpass durch das Val Divedro bezwang der Peruaner ohne sonderliche Schwierigkeiten.

In einem grossen Bogen bei Varzo folgte Chavez ob der Diveria und der Strasse, ehe sich das Tal zur ossolanischen Ebene öffnete. Jetzt, in Sichtweite von Domodossola, schien alles zu gelingen. Nur die Landung – die letzte Probe im Alpenflug Chavez’ – stand noch bevor.

Chavez’ Flugroute von Ried-Brig über  den Simplon nach  dem Landeplatz Siberia  bei Domodossola.
Chavez’ Flugroute von Ried-Brig über den Simplon nach dem Landeplatz Siberia bei Domodossola.
Das epochemachende Ereignis: Chavez  auf dem Luftweg über  der napoleonischen  Simplonstrasse.

Das epochemachende Ereignis: Chavez auf dem Luftweg über der napoleonischen Simplonstrasse.

Hoch über dem Brigerberg und dem ersten Aeroport in den Alpen kreist Chavez  in seiner «Blériot».

Hoch über dem Brigerberg und dem ersten Aeroport in den Alpen kreist Chavez in seiner «Blériot».